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Ein Stück befreite Zeit
Eine Performance ist ein Stück befreite Zeit, die sich anders entfalten darf als
im normalen Tagesablauf, der häufig von Stress Unruhe und Aktivismus geprägt ist.
Es ist ein Verweilen im Moment, eine Konzentration in die Stille, und ein Handeln aus der
Stille heraus.
In dem Moment, in dem eine Performance beginnt, wird die Performin eins mit der Zeit. Die
Zeit hört auf zu existieren und die Performin bewegt sich in einem freien Raum. Sie
wird zum Kunstwerk. Sie bestimmt alles, was geschieht. Dieser Prozess des Geschehens und
Geschehenlassens ist der eigentliche künstlerische Prozess.
Es gibt Performer, die eher konzeptionell arbeiten und deren Handlungsabfolge schon vorher
bis ins Detail feststeht. Sie arbeiten mit einer Art Bildersprache, die der Zuschauer
entschlüsseln soll. Im Moment wird von Performern, die aus dieser Tradition der
Bildenden Kunst kommen, Improvisation z.T. dem Genre Theater zugerechnet. Für mich ist
das Denken in den herkömmlichen Trennungen nicht mehr möglich. Wir befinden uns
schon lange in einer Entwicklung, in der eher kombiniert als getrennt, eher
interdisziplinär kooperiert als vereinzelt vor sich hingearbeitet wird. Auch im
Kunstbereich verschmelzen immer mehr Gattungen miteinander und bilden neue Genres. Für
mich ist Theater der erklärte Wille, etwas zu sein bzw. darzustellen, die
Persönlichkeit der Rolle einzubringen. Es gibt die Probenzeit und einen festen Ablauf.
Besonderheiten in der Arbeit mit Improvisation:
Wenn man wie ich mit Improvisationselementen arbeitet, dann hat man vielleicht ein paar
thematische Eckpunkte, an denen man sich grob orientiert. Alles andere entsteht frei im
Moment und wird auf die örtlichen Gegebenheiten und besonderen Bestimmungen der
jeweiligen Aufführungssituation gemäß von Neuem angepasst. Das ist auch der
Grund, warum sich bei Improvisationen eine Zeitangabe im voraus unter Umständen
schwierig gestaltet. Die Improvisation entspringt dem Willen, etwas Neues zu schaffen, der
Lust an der Spontaneität, der Freude am Unvorhergesehen, der Bereitschaft zum Scheitern
und der Begeisterung an der Schönheit dessen, was noch nie da gewesen ist, im Moment
nicht bekannt ist und in dieser Form nie wieder da sein wird. Scheitern für mich als
Performerin bedeutet, die Verbindung zwischen den einzelnen Elementen der Improvisation, die
eigene Konzentration oder die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu verlieren. Aus der Sicht der
Zuschauerin scheitert eine Performance dann, wenn der Künstler nicht weiß, was
und warum er etwas tut. Die Folge ist Langeweile und Zweifel am Sinn des Ganzen.
Auf der anderen Seite entstehen für mich die spannendsten Situationen dann, wenn die
Bewegungen der Performerin frei von jeder Intention sind. Während des Auftritts teilen der
Zuschauer und die Performin die Unwissenheit, und durch ihre gemeinsame Konzentration
schauen sie sozusagen zusammen dem zu, was sich entwickelt. Das ist die ideale Beschreibung
von sehr freier Arbeit. Es ist dann wirklich eine Art spirituelle Handlung - die Performerin
tritt praktisch aus sich heraus und beobachtet, was geschieht. Daraus ergeben sich für
mich folgende Prämissen:
1. Es geht nicht um die Person der Performerin, darum, dass sie ihre Idee zeigt, wer sie zu
sein oder was sie glaubt, darstellen zu müssen. Es geht vielmehr darum, bei sich zu
sein und zu bleiben, aber das eigene Ego (man könnte es auch den Plan, den Willen
sagen) zurückzustellen zugunsten des Geschehens, dessen aktiver Teil die Performerin
vielmehr sein darf.
2. Es geht nicht darum, etwas tun zu müssen oder darüber nachzudenken. Sondern
darum, die neu entstandene Situation zu erforschen und sich von seinem Gespür leiten zu
lassen, was gerade nötig ist. Wenn etwas fehlt, fügt man es hinzu. Wenn etwas
zuviel ist, gleicht man es aus. Spürt man im Falle einer Gruppensituation, dass man
selbst das Zuviel ist, begibt man sich an den Rand. Mental bleibt man aber jederzeit Teil
des Geschehens, so dass man zum richtigen Zeitpunkt wieder aktiv werden kann.
Intensität:
Für mich ist es am interessantesten, wenn die Performance möglichst tief geht. Das
bedeutet kein Entblößen seiner selbst auf der Bühne sondern ein Erforschen
der Mysterien im künstlerischen Prozess. Dazu braucht es einen geeigneten Rahmen, eine
bestimmte Erwartungshaltung der Zuschauer, so etwas erleben zu dürfen und eine hohe
Konzentration auf beiden Seiten. Die Leistung der Performerin ist es, in jedem Moment die
Spannung zu halten und die Führung über den Prozess zu haben obwohl sie sich
gleichzeitig völlig hingibt. Das ist die Kunst, die die Performerin meiner Meinung nach
auszuüben hat. Die völlige Hingabe und gleichzeitig die völlige Konzentration
und Kontrolle. Die Performerin ist gleichzeitig Kreator und Kreatur, Schöpfer und das
was geschaffen wird, sie agiert und reagiert, ist passiv und aktiv. Die Performerin vereint
also diese Dualitäten in sich und hebt sie damit auf. Das ist eine große
Herausforderung.
Authentizität:
Ein weiterer faszinierender Aspekt für die Zuschauer besteht in der Authentizität,
die mir von Anfang an in meiner Arbeit sehr wichtig war, einer der wichtigsten Aspekte
überhaupt. Unsere Gesellschaft ist allgemein darauf ausgerichtet, sich an der
Oberfläche zu orientieren, Billigware zu produzieren und Aktionismus und
Schnelllebigkeit zu fördern. Das betrifft nicht nur die Unterhaltungsbranche und
bestimmte Medien sondern eben auch den Kunstbetrieb. Das heißt andererseits, wenn
etwas sehr Tiefgehendes und Authentisches geschieht, entsteht immer ein Moment der
Faszination, Abstoßung und Verwirrung, je nachdem was gezeigt wird. Das, was ansonsten
unbekannt oder unterdrückt ist, wird plötzlich sichtbar. Es ist das eigene
Unbekannte, das diese Rektionen hervorruft, d.h. die Performerin übernimmt auch den
Part, etwas zu zeigen, was bisher keinen Raum bekommen hat, weil es vielleicht bedrohlich
erschien. Ich denke, das ist auch die Grundlage dafür, das der Beruf weder anerkannt
noch angemessen bzw. gar nicht honoriert wird, je nachdem auf welchem Level man sich bewegt
im Kunstbetrieb. Gleichzeitig ist es von großem subversiven Reiz und stellt eine
Herausforderung für alle gewohnten Sichtweisen dar.
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